Dem Amtsgericht Stuttgart fehlen die Worte

Das letzte Verfahren gegen die Fußgänger wurde eingestellt

Gut ein Jahr nach der Räumung des Mittleren Schlossgartens enden die Verfahren gegen die Versammlungsteilnehmer mit einer faustdicken Überraschung. Mit schriftlichem Beschluss beendete die Richterin die Hauptverhandlung. Es fand bereits zuvor ein Termin statt, und nun wurde die Weiterführung abgesagt. Die Entscheidung geht zu Lasten der Staatskasse. Die schlichte Begründung lautet: “Unter Berücksichtigung der sich bislang aus der Akte ergebenden Gesichtspunkte erscheint eine Ahndung der Tat nicht geboten.”

Allen Widerständigen wurde dieselbe Tat zur selben Zeit auf Basis der gleichartig zusammengestellten Akten vorgeworfen. Daraus strickte das Amt für öffentliche Ordnung zusammen mit der Abteilung Staatsschutz der Polizei über 80 Bußgeldbescheide. Davon wurden 26 vor dem Amtsgericht verhandelt: In allen wurde bisher zu 100 Euro und zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt. Zum Teil waren dazu zwei Verhandlungstage nötig; der Stellvertreter des Polizeipräsidenten musste ebenso zu einer Aussage bemüht werden wie der Leiter des AföO. Nun haben die argumentativen Verbiegungen ein Ende; offenbar konnte man keine weiteren “Beweise” für die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns finden.

          

Am 19.6.2012 begannen die Verfahren. Die unhaltbaren Behauptungen in den Ermittlungsakten wurden ständig durch die Anklagebehörde mit “neu aufgetauchten Dokumenten” nachgebessert. Die eklatanten Widersprüche in den Darstellungen und Zeugenaussagen wurden dadurch jedoch nur weiter angehäuft. An der Rechtslage hat sich dadurch nichts geändert. Vor der Räumung einer Versammlung muss eine Auflösung erfolgen. Für eine Versammlungsauflösung ist ein Rechtsgrund erforderlich. Diesen Rechtsgrund hat es am 15.02.2012 um 2.30 Uhr nicht gegeben. Dem Amtsgericht ist bis zum heutigen Tage in keinem einzigen Verfahren gelungen, die Bekanntgabe und das Inkrafttreten einer Allgemeinverfügung, die als Rechtsgrund der Auflösung angesehen werden kann, nachzuweisen.

      

Das Amtsgericht wäre aber nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet gewesen, vor Verurteilung wegen Nichtentfernens aus einer aufgelösten Versammlung, die Rechtmäßigkeit der Auflösung zu prüfen und festzustellen.

Von den Betroffenen wurden insgesamt zehn Rechtsbeschwerden beim Oberlandesgericht eingereicht; die meisten wurden bisher auf Betreiben der Staatsanwaltschaft nicht zugelassen. Prinzipiell ist die Rechtsbeschwerde bei Ordnungswidrigleiten mit Verurteilungen bis zu 100 Euro juristisch schwierig. Allerdings geht es bei den Vorwürfen um das durch die Verfassung garantierte Versammlungsrecht. Bei diesem hohen Gut darf es keine Fehlurteile und keine uneinheitliche Rechtssprechung geben.

Inzwischen liegen die ersten Schriftsätze von Betroffenen, deren Rechtsbeschwerden abgelehnt wurden, beim Bundesverfassungsgericht. Auch das werden keine Einzelfälle bleiben. Parallel dazu wird eine Fortsetzungsfeststellungsklage von 33 Betroffenen gegen den Polizeieinsatz vor das Verwaltungsgericht getragen, um auch dort die Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. Die Verurteilungen durch das Amtsgericht Stuttgart sind in Freisprüche umzuwandeln.

Der Polizeieinsatz am 15.02.2012 im Mittleren Schlossgarten diente der Rodung von 177 großen und mehrhundertjährigen Parkbäumen. Dabei wurden auch Habitate des streng geschützten Juchtenkäfers zerstört. Seit über einem Jahr bietet der Erholungs- und Naturraum als ungenutzte Brache einen erschreckenden Anblick. Das juristische Nachspiel ist noch lange nicht zu Ende.

Weitere Infos bei Schäferweltweit